Ich sitze in einem Raum, der aus einer Ansammlung alter Möbel besteht. Teilweise fehlt die Tapete an den Wänden. Der Blick aus den Fenstern ist durch Gitterstäbe durchbrochen. Aufenthaltsraum auf einer Station in einem Gefängnis.
Mir gegenüber sitzt jemand, der mir in den ersten Sätzen deutlich macht, dass er ganz andere Ziele mit diesem Gespräch verfolgt, als ich.
Ich soll mit diesem Gespräch einen Vertrauensaufbau beginnen, der im Idealfall dazu führt, dass sich mein Gegenüber öffnet und bereit ist, über seine Taten zu reflektieren.
Dazu ist ein vertraulicher Rahmen notwendig. Das heißt, wir sind allein. Der nächste Sicherheitsbeamte befindet sich am anderen Ende eines langen Ganges in seinem Büro. Auf einen Schlüssel habe ich verzichtet, auch wenn das bedeutet, dass ich mich nicht selbständig durch das Gefängnis bewegen kann. Auch nicht beim Gang zur Toilette. Mein durch exzessives binge watching von Crime-Serien, ehrlich erworbenes Weltwissen, hat mir diese Entscheidung nahe gelegt: Schlüsselträger sind potentielle Geiseln. Nein danke.
Selbstreflexion ist für mein Gegenüber, das gewohnt ist, in angesagten Clubs im VIP-Bereich abzufeiern, den heißesten Scheiß zu tragen, zu konsumieren und zu v….., ungefähr so sexy wie für mich gehäkelte Klorollenhalter oder Opel. Aber mir war vorher klar, dass das irgendwie schwierig werden würde.
Selbstreflexion verbessert die Rückfallquote. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich die Person nach Ihrer Inhaftierung regelkonform verhält. Wie in jedem späteren Unternehmenskontext, mit dem ich arbeite, ist meine Arbeit zwar menschenzentriert, hat aber eine deutliche zahlenbezogene Anleihe.
Bevor ich überhaupt zu Wort komme, hat mir mein Gegenüber die Gesprächsführung bereits abgenommen. Ich werde zugetextet mit einem Gemisch aus Selbstdarstellung im Gangsta-Style, Fragensalven über „Draußen“ – und selbstverständlich vom ersten Moment an einem Test unterzogen, der zwei Parameter messerscharf überprüft: Meinen Status und meine Vertrauenswürdigkeit!
Mich plagen bereits nach wenigen Minuten Gespräch ganz andere Fragen: Wie mache ich es, dass ein Gespräch wie vereinbart, eine Stunde dauert und nicht zweieinhalb Stunden oder 20 Minuten. Wie schaffe ich es, dass ein Thema eingehalten und nicht sofort weggebügelt wird zugunsten anderer Themen. Wie gehe ich damit um, wenn mein Gegenüber nicht kooperieren will? Letzteres übrigens eine der häufigsten Fragen von Führungskräften im Coaching aus meiner Sicht. Wie kann ich persönliche Angriffe abwehren, ohne weiter zu eskalieren? Wie kann ich Dinge ansprechen, die hoch heikel sind und die Gefahr eines Gesichtsverlusts in sich tragen, ohne Gesichtsverlust klären?! Wie entsteht, selbst unter beschissenen Bedingungen, mit Ergebnisdruck beschwert und mit schwierigen Inhalten und schwierigen Gegenübern, eine qualitativ hochwertige Beziehung, die so viele Ressourcen in sich trägt, um das scheinbar Unmögliche möglich zu machen?
Auf all das und mehr, habe ich Antworten gefunden! Befeuert durch Erfahrungen, die damals im Knast ihren Anfang nahmen, angereichert durch zahlreiche Ausbildungen, hat sich daraus im Verlauf der letzten 20 Jahre, mein ganz eigener Ansatz gebildet. Dieser enthält pragmatisch hoch wirksame Konzepte und eine exquisite Toolbox, mit der ich meine Kunden wirksam unterstütze, sich über das, was Sie wollen, klar zu werden. Sich zu stärken und zu heilen, wo es notwendig ist um dann ihre Stimme zu benutzen und zu verhandeln, was Ihnen wichtig ist – ihren eigenen Vorstellungen eines erfolgreichen Lebens folgend. Wie ich es im Knast gelernt habe: Own your words! Das ist nicht die ganze Miete, aber definitiv mehr als die Halbe.