Ich habe eine Affäre – Teil 2
Vanessa Laszlo

Herr Dr. G. sitzt mir nach 3 Wochen erneut gegenüber. Ich sage ihm, dass mir unsere 1. Sitzung noch gut in Erinnerung ist und möchte wissen, ob ihm das genau so geht. „Wollen Sie denn gar nicht wissen, was ich die letzten 3 Wochen so gemacht habe und wie es mir geht?!!“ erhalte ich zur Antwort.

„Natürlich“, entgegne ich. „Darüber hinaus gehört es für mich einfach dazu, eine Art Verlaufsdiagnostik zu machen. Also zu erfahren, wie Sie die 1. Sitzung verstoffwechselt haben, und ob sich daraus bereits Schlussfolgerungen gedanklicher, emotionaler oder handlungsbezogener Art ergeben. Außerdem möchte ich unsere heutige Session dazu verwenden, eine klare Ziel-und Nutzenorientierung für ihr Coaching zu erstellen. Und jetzt erzählen Sie erstmal, wie es Ihnen die letzten 3 Wochen ergangen ist.“ Wir müssen beide lachen.

Über Kaffee und Cantuccini erfahre ich von der Eingewöhnung des kleinen Sohnes. Der Amerika-Reise des großen Sohnes, dem Plan diesen im Zuge eines Road-Trips im Sommer zu besuchen, von zwei Businessreisen, die erfolgreich und ziemlich anstrengend waren und von der unbefriedigenden Situation im Führungskreis. “Ich weiß gar nicht, was die von mir wollen. Die verhalten sich wie Kinder. Dabei bilden diese Leute die höchste Führungsebene und betrachten sich selbst nur als Mitarbeiter, die geführt werden wollen.“

Guter Freestyle braucht Disziplin und Struktur


Ich zeige auf die Pinnwand, die vor uns steht. Karten und Stifte liegen auf dem Tisch. „Wie wäre es, Sie schreiben, während Sie erzählen, alle Themen, Fragen, Baustellen etc. auf, die sich für Sie ergeben. Diese werden wir dann thematisch ordnen und erhalten so einen Fahrplan für unseren Coachingprozess. Dieser Plan ist dynamisch. Er kann von Sitzung zu Sitzung ergänzt werden. Aktuell Wichtiges hat immer Vorrang und trotzdem entsteht damit ein roter Faden, der dafür sorgt, dass wir uns nicht beliebig verhalten und Sie die Gewissheit haben, dass wir uns immer zielorientiert im Gespräch bewegen.“

Mein Vorgehen wird für gut befunden und umgesetzt. Eine thematische Landkarte entsteht, die 8 unterschiedliche Kategorien umfasst mit jeweiligen Unterpunkten.

Wenn wir alle Fragen beantwortet haben, ist der initiale Coachingprozess abgeschlossen. Im Sinne einer Weggefährtenschaft kommen Coachingklienten bedarfsbezogen immer wieder. Manchmal liegen Wochen oder Monate dazwischen, manchmal viele Jahre. Viele Klienten kommen einmal jährlich, zur Jahresabschlussreflexion und/oder einem persönlichen Ausblick auf das neue Jahr. Darüber freue ich mich sehr und mir bedeuten diese Weggefährtenschaft sehr viel. Mir ist dennoch wichtig, dass Prozesse einen Anfang und ein Ende haben.

Dann reden wir über das, was ihn im Nachhall unserer 1. Sitzung am meisten beschäftigt hat:

„Also dass Sie sich getraut haben mir zu sagen:

  • eine rein zahlengebundene Erfolgsorientierung ergäbe einen riesigen blinden Fleck, der sich vor allem in emotionaler Beliebigkeit wiederspiegelt,
  • in reduzierter intrinsischer Motivation,
  • im Verlust von Freude an ehemals als interessant eingeschätzten Tätigkeiten und
  • einem zunehmendem Verlust vitaler Beziehungen zu sich selbst und anderen.


Verdammt. Ich muss Ihnen leider Recht geben!“

Love people, use things. – Not the other way round.


Und dann erfahre ich, wie die äußere Erfolgsbiographie nicht korrespondiert mit einer inneren Erfolgswahrnehmung. Was initial von Interesse war, ist längst einer reinen Ergebnis- und Profitorientierung gewichen. Das ist zwar sehr effektiv, erzeugt jedoch äußerst unangenehme Nebenwirkungen. Der Spaß und die Leidenschaft für die Themen sind verloren gegangen. Stattdessen Ersatzbefriedigung. Natürlich nicht nur. Mann/Frau darf selbstverständlich schöne Sachen mögen. Schönes Haus, schönes Auto, Komfort, Luxus, und tolle Urlaube.
Doch der uns Menschen innewohnende Wunsch nach psychologisch umfassenden Erleben, kann weder anekdotisch in ein paar Wochen Urlaub ausreichend erfüllt, noch in Objekte ausgelagert werden. Dieses grundlegende Bedürfnis und dessen Erfüllung gehören dahin, wo es zählt: in den Alltag.

 

Selbstliebe und Selbstwert brauchen Ausdruck im Alltag

   Im Alltag ist er jedoch die letzen Jahre mit seinen Bedürfnissen gar nicht vorgekommen. Weder an der Arbeit noch zu Hause. Wir schweigen gemeinsam und lassen die Stille die schwere Arbeit machen….

In dieser zweiten Sitzung reden wir nach einer Weile weiter. Darüber:
dass Bedürfnisse nicht verhandelbar sind. Sie sind! Und drängen nach Ausdruck,
dass Leistung viel ermöglicht, aber nicht alles löst,
dass starke Gefühle helfen, sich wieder vollständig und lebendig zu fühlen
dass immer zu funktionieren, dazu führt, dass man sich selbst Stück für Stück verloren geht
und
über potentielle Nebenwirkungen und Risiken eines offensichtlich anstehenden Selbstfindungsprozesses und wie dieser wohl aussehen könnte und wo begonnen werden kann.

 

Mein Gegenüber begreift Hier und Jetzt noch einmal neu, dass er der Entscheidungsträger in allen Szenarien war und ist, die ihn bis hierhin gebracht haben – und beginnt, sich die Tragweite dieser Erkenntnis bewusst zu machen.

Wir verabschieden uns voneinander mit einer Frage, die fantastischerweise nicht ich stellen musste, sondern auf die mein Gegenüber von selbst kommt: Wie kann Selbstliebe vertieft werden?!

Wie kann Selbstliebe vertieft werden?!

 

Mit dieser Frage ist Herr Dr. G. aus unserer zweiten Coachingsession gegangen und hat begonnen, darauf persönliche Antworten zu finden.

Und du?
Liebst du dich?
Fühlst du dich geliebt?
Ohne wenn und aber!
Oder braucht es dafür viel Leistung, viel Anerkennung, viel Außen?
Wie viel Selbstliebe reflektiert deine Gestaltung deines Alttags?!