Sommerferien
Vanessa Laszlo

Sommerferien sind zumindest in einem Aspekt auch nicht viel anders als der Alltag: Hier läuft nicht alles, wie geplant. 

Naja, ein großes Wort, sagen wir also mal eher, nicht so wie erhofft! 

Wir kommen gerade aus dem Krankenhaus, denn meine Tochter hat es geschafft, sich am ersten Ferientag einen rostigen Nagel in den Fuß zu manövrieren. 

Ja, ich weiß, brauchen wir nicht drüber sprechen. Das ist richtig blöd! 

Und ja, natürlich, der Fuß sieht nach einer Weile nicht mehr gut aus. Jetzt ist die Verletzung  von Experten untersucht und abgesegnet und kontrollierbar „gemacht“. 

Die Ferienspiele, die zumindest in der ersten Woche Pferdespiele werden sollten, sind dafür jetzt hinüber. Das ist schon für mich nicht ganz einfach. Wie mag das für eine pferdeaffine, abenteuerlustige 8jährige sein?!! Ganz genau, zu betrauern und nicht in Worte zu fassen. Da sind wir uns dann doch einig, meine Tochter und ich, wenn auch aus sicher sehr verschiedenen Gründen. 

Wie zum Teufel, kompensiert ihr die fehlende Betreuung eurer Kinder und den damit einhergehenden Tatbestand, dass sie die einzigen Familienmitglieder sind, die „Ferien haben“, während man selbst nicht nur den Schreibtisch, sondern den Kopf voll hat?!! 

Auf einer Erlebensspur daneben, deutlich alltäglicher aber mit wachsendem Alarmbewusstsein: Irgendwas ist hier anders als sonst – aber was?!! Richtig, der Kater hat aufgehört zu sprechen! 

Klingt komisch? 

Offensichtlich warst du noch nie bei mir. 

Einer unserer Kater bekommt keinen Ton mehr raus. (Ich lass das jetzt mal so stehen, der notwendigen Länge oder besser Kürze wegen – obwohl ich selbst ja nach wie vor fest davon überzeugt bin, dass er sich jeden Morgen, wenn wir noch schlafen, sein Katzenkostüm überwirft, Reißverschluss zu und los geht`s…). 

Spiffy sitzt vor mir und öffnet ratlos und verzweifelt sein kleines Maul und man hört nichts. Google verweist auf nichts Gutes. Ob normale Halsentzündung oder gleich vollgebucht, eine Kehlkopfentzündung. Der Tierarzt muss her. Das geht leider nicht. Also müssen wir hin. Haben ja eh so viel Zeit. 

Weitere Autofahrten bei bestem Wetter. Ja klar, wäre ich jetzt auch lieber im Pool. Weitere Wartezeiten und eine Intervention später: der Kater sitzt super sauer in seiner Transportbox, einen Medikamentencocktail intus, der hoffentlich für Heilung sorgt und mir mein gewohnte Geräuschkulisse zurück bringt. 

Das Kind ist zumindest für einen Moment glücklich und stopft selbstvergessen und voller Wonne ein riesiges Eis in sich hinein. Nee, unsere schafft auch mit 8 nicht, das sie umgebende Auto davon unbeeindruckt zu lassen. Aber ich weiß ja, sweet memories. Aufregen lohnt nicht. Nur einen Wimpernschlag später wünsche ich mir Essensreste und Fettspuren zurück, weil sie ja rasend schnell groß wird und ich emotional ja sowieso immer hinterher hinke. 

Endlich wieder zu Hause, steht schon die nächste Anforderung bevor, von der wir – dem Himmel sei Dank – noch nichts ahnen, als wir völlig fertig zur Tür rein fallen: 

Ein kleines zartes und doch alarmierendes Geräusch lässt uns sofort das Stockwerk wechseln – gerade noch rechtzeitig, wie sich heraus stellt. Kater No 2 hat etwas gefangen, was noch lebt. Wir finden eine Fledermaus, die wir mit etwas Mühe retten können. Dieser Kater sitzt derweil super sauer in unserem Bad, weil er jetzt eingesperrt ist, sich niemand über das „Geschenk“ freut und er es jetzt noch nicht mal selbst haben darf.

Irgendwie schaffen wir es, dieses winzige Wesen in einer luftdurchlässigen Box zu bergen. 

Google rät die Hinzuziehung eines Fledermausexperten und die Darreichung von Wasser mittels einer Pipette. Letzteres ist erfolgreich, ersteres schwieriger als gedacht. 

Nach einigen Telefonaten mit der Fledermausexpertin des Nabu, entscheiden wir uns für das Wagnis und behalten die Fledermaus, bis sie wieder fit ist. 

Als wir in der Dämmerung das kleine Tier fliegen lassen, steigt in mir nicht nur eine tiefe Müdigkeit mit nach oben, sondern auch Dankbarkeit. 

Dankbarkeit 

für mein kostbares einzigartiges Leben, 

für meine kleine aber feine Familie,

für meine Kundinnen und Kunden,

für unser Haus in einem ehemaligen Ferienhausgebiet, das es mir ermöglichst, so naturnah zu leben, wie ich immer wollte. Es ist zwar nicht Afrika geworden, sondern der Taunus, aber Lage und Blick sind auch hier atemberaubend und voller Schönheit und Leben. 

Dankbarkeit für mich selbst, im Kleinen und im Großen. Körperlich, mental. 

Freude und Dankbarkeit!

Für alle Möglichkeiten, die in diesem Sosein liegen. 

Dankbar für jede kleine Unze von alltäglichem Shit, der meine Pläne heute durchkreuzt hat. 

Mir fehlen die Worte, um adäquat zu beschreiben, wie weh es mir tut, mir zu vergegenwärtigen, dass so viele Menschen dieses Privileg nicht haben. 

Nicht nur gerade jetzt, angesichts der schrecklichen Vorkommnisse, die  u.a. hier in Deutschland passiert sind. 

Die betroffenen Menschen sind längst am Aufräumen und haben hoffentlich das Schlimmste überstanden. Für mich sind die dazu gehörigen Eindrücke surreale Bilder, die unverdaut in mir lagern. 

Auch die Menschen, deren ganzes Leben ohne ein einziges meiner Alltagsprivilegien gefüllt sind, beschäftigen mich (nicht nur) an diesem Abend. Ich denke an Afghanistan, ich denke an die Frauen und Mädchen im Congo. 

Müde schweift mein Blick über meinen Ausschnitt von Welt hinweg und stürzt in einen Abgrund. 

Einen Abgrund an Ungerechtigkeiten, Verbrechen, Katastrophen, Kriegen, Fehlentscheidungen, Ignoranz, mangelndem Mitgefühl – ich unterbreche mich selbst.

Es ist nicht zum Aushalten, nicht zu ertragen, was Menschen Menschen antun. Mir wird im Hier und Jetzt erneut klar, welches unglaubliche Privileg ich habe, so oft einen so kleinen Ausschnitt von Welt betrachten zu dürfen. 

Das einzige, was wirklich hilft, ist TUN. 

Natürlich gibt es auch ein entscheidendes inneres TUN. Hier meine ich aber TUN. Im AUßEN. 

Sich nicht klein kriegen lassen, von allem, was zwar nachvollzogen werden kann und erklärbar wird, damit aber nicht weniger inkomsumerabel und absolut unakzeptabel ist!

Ich kann spenden. 

Ich kann neue Entscheidungen treffen, die meinen Alltag betreffen. 

Ich kann meine Gewohnheiten ändern.

Ich kann mich nicht kaputt machen lassen, von so vielen Baustellen, die noch ohne Lösung dastehen und nach Bearbeitung schreien. 

Und ich beschließe mich nicht klein kriegen zu lassen, von meinem manchmal so erbärmlich kleinen Tun.

Diese zum Teil unsagbar schöne große Welt ist so gefährdet. Auch wenn ich nicht die großen Sachen regeln kann. Ich kann Größe im Kleinen zeigen. Jeden Tag. 

Das ist mir in der Vergangenheit nicht immer gelungen und das wird es auch zukünftig nicht. Aber an diesem Abend ist mir wieder so glasklar im Herzen, dass ich es dennoch versuchen werde. Immer wieder aufs Neue!

Nicht alles, was schief läuft, kann gerade gebogen werden. Weder im Großen noch im Kleinen. Doch hier haben wir Glück und  meine Tochter kann auch aus der letzen Ferienwoche eine Pferdewoche machen.