Vom Verstecken
Homeschooling hat seine Tücken. Manchmal läuft es tagelang geschmeidig, dann brechen kriegsähnliche Zustände aus. Und dann ist die Blockflöte weg!?!!
Zunächst haben wir unsere Hündin in Verdacht, die, in den besten Flegeljahren, so gut wie alles verschleppt und zerpflückt, was man nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat. Eine diesbezügliche Suche ergibt nichts.
Dann dämmert es mir, dass dies das Resultat eines bewussten strategischen Aktes unserer Tochter sein könnte. Ich beginne, an entsprechenden Orten nach der Flöte zu suchen und werde schnell fündig. Die verhasste Blockflöte liegt am Boden einer Kiste, in der wir im Winter Mützen, Schals und Handschuhe aufbewahren. Ein sehr gutes Versteck, denn das nächste Mal, wo ich diesen Ort ausgeräumt hätte, liegt in weiter Ferne, irgendwann im Frühjahr.
Das tägliche Flötenspiel als Teil der „Schule zu Hause“, braucht nicht mehr länger auszufallen. Das Kind begreift, dass es nicht länger ausweichen kann und die Lektion beginnt. Dabei fällt mir auf, dass es noch grauenhafter klingt als ich das aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. Und nein, damit findet nicht bloß meine eigene Abneigung Ausdruck, hier fehlen Motivation, das daraus entstehende Commitment zum Spielen, Konsistenz im Tun – schlicht: Übung.
Beim anschließenden Kaffee alleine mit mir, der für mich eine lieb gewonnenen Notwendigkeit darstellt, um mich vom Homeschooling zu erholen, fällt mir ein, dass auch mein inneres Kind gelegentlich ähnlich taktisch handelt – leider natürlich auch mit ähnlichen Auswirkungen.
Vom Ausweichen
Verpflichtungen und andere Notwendigkeiten, die aus irgendeinem Grund emotional unkomfortabel sind und keinen „Feuerwehr-Status“ haben, werden verschoben bis versteckt. Alltagskomplexität und Dynamik tun ihr Übriges, um solche taktischen Verstecke in Vergessenheit zu bringen.
Das kann tragisch sein, oft ist es gar nicht so schlimm. In welcher Ausprägung sich auch immer Konsequenzen ergeben oder nicht, man bezahlt immer einen Preis fürs Ausweichen: Üben findet nicht statt, Lernen unterbleibt, der damit verbundene Kompetenzerwerb auch.
In der Auseinandersetzung mit meinen Kunden im Rahmen persönlicher Businesscoachings, finden wir ebenfalls häufig solche versteckten Blockflöten: Ein aus der persönlichen Sicht ungerechtfertigtes Feedback wird nicht konstruktiv konfrontiert und besprochen, die Gelegenheit zum Üben, wie man sich selbst gut vertritt, bleibt aus. Schals und Mützen drüber, fällt nicht weiter auf. Außer bei der nächsten Gelegenheit, bei der ein diesbezüglicher Kompetenzerwerb notwendig ist: Jemand fährt dir im Rahmen eines Meetings zum wiederholten Male in die Parade, dominiert deinen Redeslot mit eigenen Beiträgen und man selbst lässt es geschehen und schweigt dazu, während der diesbezügliche innere Dialog dich anschreit.
Die eigene Arbeitsorganisation braucht eine Veränderung um der wachsenden Komplexität einer neuen Führungsposition gerecht zu werden. Dies fühlt sich unkomfortabel an und wird stattdessen mit vermehrtem quantitativen Einsatz versucht. Man versteckt sich hinter einem riesigen Berg an Tätigkeiten, Fleiß, Einsatzbereitschaft, Bedürfnisverzicht, anstatt zu lernen, auf die veränderte Situation mit neuen Handlungsstrategien einzugehen.
Wie viele Menschen spreche ich, die nicht ausreichend üben „Nein“ zu sagen, um wieder aus ganzem Herzen „Ja“ sagen zu können. Stattdessen lässt man sich vor irgendeinen Karren spannen, ertrinkt in operativen Anforderungen und hat weder für strategisch zukunftsorientierte Sachverhalte noch die persönlichen Wichtigkeiten ausreichend Zeit und Energie.
Viel zu oft werden konfrontationswürdige Sachverhalte nicht konfrontiert, so oft geben wir uns selbst nach, anstatt zu wachsen.
Vom Wachsen
Dabei können wir uns auf die Zwangsläufigkeit von Übungen verlassen: je öfter ich etwas mache, desto leichter fällt es mir weil ich immer besser darin werde. Dabei verändert sich dann nicht nur mein Skill-Level, sondern auch meine diesbezüglichen Emotionen. Es fällt Stück für Stück leichter, macht mehr Spaß, kostet weniger Anstrengung und Kraft und wird irgendwann leicht.
Ich werde kein Fan vom Blockflötenspiel. Doch wenn es dazu dient, meiner Tochter die Lektion beizubringen, lieber an Baustellen zu wachsen als diese zu verstecken, ist das eine lohnende Aufgabe, für die ich dankbar bin.
An diesem Tag habe ich eine meiner „Blockflöten“ heraus geholt und die diesbezügliche Aufgabe erledigt. Vielleicht fällt dir jetzt auch etwas ein, was du so lange versteckt hast, dass es längst überfällig ist, es heraus zu holen. Wenn du das machst, feier dich in den höchsten Tönen!