Was ist Erfolg?!
Vanessa Laszlo

 

Melanie, Ende 40, wirkt unnahbar in ihrer fast überpflegten Ästhetik. Phänotypisch stimmt einfach alles. Es gibt keinen Bruch: Top Figur, routinisierter Desginer-Style von den Schuhen bis zu den Ohrringen, Handtasche, Uhr, Auto – alles vom Feinsten. Verheiratet, keine Kinder, keine Haustiere. Hobbies: Fitness & Golf.

Eine Bankvorständin, deren Motivation vor Jahren im Voranstreben verloren gegangen ist. Eine Frau, die täglich gegen sich selbst kämpft um überhaupt noch aufzustehen. Für etwas,  was ihr Kraft und Energie raubt und die daran gemessen wird, wie viel Charisma, Motivation und Empowerment sie ausstrahlt.  

Sie kommt mit einem riesigen Problem:

 

Diese Situation, die sie bisher ohne zu zögern, gut bedienen konnte, weckt in ihr seit einigen Monaten Gefühle von Panik und eine stetig wachsende Fluchttendenz.

Am vorläufigen Ende eines langen und entschlossenen Fachärzteshoppings aufgrund wachsender psychosomatischer Beschwerden, rät dieser ihr, eine Therapie oder ein persönliches Coaching zu beanspruchen.

Jetzt sitzt sie mir in meinem Büro gegenüber, in einem meiner englischen Clubsessel und blickt auf die berauschende grüne Kulisse von 80 Quadratkilometern Wald. Die Aussicht kann sie nicht genießen. Bäume und Horizont empfindet sie als provinziell und bevorzugt die Skyline einer Großstadt. Doch diese hat sie gerade hinter sich gelassen und ist zurück in die alte Heimat gezogen, wo sie nun im Vorstand einer etablierten Bank arbeitet und wieder in ihrem Elternhaus wohnt.

 

Sie kann nicht verstehen, warum sie so reagiert. 

Vor über 20 Jahren aus der gefühlten kleinbürgerlichen Enge ihrer Heimatstadt in die Welt und nun als Bankvorständin zurück. Mit Ehemann ins frisch restaurierte und renovierte Elternhaus. 300 Quadratmeter fancy loft feeling in einem denkmalgeschützten Bauernhaus mit parkänhlichem Garten und einer Lage zum Niederknien.

Das würden sicher viele Menschen so sehen, Melanie leider nicht. Ihr hat es in der Großstadt besser gefallen. Sie vermisst ihre, im Vergleich dazu, kleine Eigentumswohnung in München. Sie vermisst Trubel, gutes Essen, Einkaufsmöglichkeiten und den ganzen urbanen lifestyle. Noch funktioniert sie. Es kostet sie jedoch von Tag zu Tag mehr Kraft und Energie. 

 

Sie will nicht akzeptieren, dass sie so reagiert.

Sie will nicht akzeptieren, dass sie so reagiert und diesen misslichen Tatbestand so schnell wie möglich und nachhaltig ändern. Dabei erwartet sie von mir, dass ich tue, was auch immer dazu notwendig ist, damit sie schnellst möglich wieder „die Alte“ ist.

Dabei erfahre ich gleich, dass für sie eine Kur oder Ähnliches absolut nicht in Frage kommt: Bloß nicht im Job ausfallen. Wie sieht das denn aus, wenn sie jetzt eine Kur macht und ein paar Wochen nicht da ist. Sie muss doch als Führungskraft mit gutem Beispiel voran gehen und Gas geben. 

Ich interveniere beim Stichwort „Führungskraft“ und würde gerne sehen, ob Sie nicht nur die führende Rolle hat, sondern diese auch lebt. Dazu reicht mir zunächst ein Blick in ihren Kalender. Wir betrachten einen Monat, eine Woche und einen Tag.

Dabei wird sichtbar, dass Sie offensichtlich ein Management-Genie ist, aber mit Führung nicht viel zu tun hat: In ihrem Kalender taucht sie nicht einmal auf. Es gibt weder Raum für persönliche Wichtigkeiten, noch für alles, was über den Tellerrand ihrer Vorstandsarbeit hinausgeht. Operative Arbeit auf höchstem Niveau. Null selbstbestimmt, kaum strategisch, nicht kommunikativ, nicht visionär. Pflicht, Fleiß und eine routinisierte Unabdingbarkeit des immer- nur- Vorwärtes-Gehens. 

Eine professionelle Fassade, die andere auf Distanz hält und, das wird in unserem ersten Gespräch sehr deutlich: kommunikative Herrschaftsgesten statt echter Souveränität. Es wird sehr schnell bewertet, entwertet und gekämpft.

Diese erste Sitzung endet mit einem klaren „Nein“: sich jetzt auch noch mit sich selbst intensiver befassen und noch mehr Termine realisieren, Nein. Das kommt für Sie nicht in Frage. Sie will weder reden, noch zu hören, sondern repariert werden.

Wie eine Botox-Injektion die Zornesfalte löscht und der Mimik dadurch neue positiv wirkende Möglichkeiten gibt, möchte Sie eine Motivations-Injektion. Die darf ruhig kosten, soll aber schnell gehen und keine Eigenleistung enthalten. Ich bedanke mich für die klare Auftragslage, die ich ebenso klar ablehne. 

 

Zwei Monate später

Zwei Monate später erhalte ich einen Anruf mit der Bitte, mich schnellst möglich zu melden. Sie kann nicht mehr. Nichts geht mehr. Wann können wir sprechen? 

Und das machen wir dann auch: Behutsam, ehrlich, direkt, beruhigend, kraftgebend und Klarheit erzeugend. 

Ein Prozess beginnt, der ihr ermöglicht: 

zu verstehen, wo sie herkommt 

zu verstehen, wozu sie so handelt, wie sie es bisher getan hat 

zu verstehen, was sie eigentlich will und wer sie eigentlich sein will 

zu lernen, wie sie das realisieren kann 

zu lernen, wie sie sich auf erwachsene Weise, selbst beschützen, selbst trösten und selbst motivieren kann 

zu lernen, wie sie sich auf konstruktive und professionelle Weise abgrenzen kann, um Raum und Zeit für ihre Wichtigkeiten zu schaffen 

zu lernen, welche gedanklichen Routinen, ihr Kraft und Nerven rauben 

zu lernen, wie sie erlernte Stressmuster verändern kann, zugunsten von mehr Resilienz

ein Führungsverständnis zu entwickeln, welches Führung umfassend denkt, 360 ° und den wichtigen Aspekt der Selbstführung nicht außer Acht lässt 

ihre Teams auf empowernde und nicht kontrollierende Weise zu führen

einen Rahmen zu gestalten, der es anderen ermöglicht, mutig, konstruktiv und mit Freude zu handeln.

 

Selbstbesitz

„Ich bin für alles verantwortlich, zumindest habe ich das so interpretiert und gefühlt und habe dabei eine ganz wichtige Person übersehen: mich selbst! Ihr Bild des Scheinriesen trifft es sehr genau. Dabei habe ich mich wirklich gefühlt wie eine Scheinriesin. Je näher mir jemand kam, desto kleiner wurde ich. Das hat mich gestresst und einsam gemacht.“ Melanie macht in ihrer Weise die wunderbare Erfahrung, die ein gutes Coaching ermöglicht: blinde Flecken erhellen, die Taschenlampe nach innen drehen, zunächst etwas ängstlich in dunkle Ecken leuchten, um dann einen Schatz zu entdecken. Diesen zu bergen und zu verwenden, wie sie möchte. 

Nach einem Jahr, in dem wir im Rahmen von 12 Sitzungen intensiv miteinander gearbeitet haben, sind wir mit unserem initialen Coachingprozess am Ende. Melanie hat gelernt „Nein“ zu sagen, wenn dies ein „Ja“ zu sich selbst bedeutet. Sie hat ihr Verständnis über sich selbst, über das Leben, welches für Sie persönlich lebenswert ist, über Karriere und was genau Erfolg für Sie bedeutet, aktualisiert. Sie weiß, wer sie ist, was sie kann, was sie will und was nicht und wie sie genau das kommuniziert, gestaltet und, wenn es sein muss, durchsetzt. Letzteres bedurfte neben der Erweiterung ihrer Führungs- und Kommunikationsskills ebenfalls der Erweiterung des Verständnisses über andere. 

Aus der Scheinriesin, ist ein nahbarer leader geworden. Schicht für Schicht abgetragen und neu aufgebaut.

Jemand, die ihre Sichtbarkeit neu definiert hat.

Auf die Anstrengung der Fassade hat sie keine Lust mehr. Stattdessen setzt sie auf mehr Selbstbesitz.

Das hat zu wesentlich mehr Entspannung, Kraft, Flow und Spaß geführt – und zu mehr Erfolg! Trotz schwieriger Zeiten sind die Zahlen besser als erwartet und die Mitarbeiterzufriedenheit ist gestiegen. Hier geht noch Einiges. Das packen wir an. 🙂